Nicht nur Leder, auch die Lunge wird imprägniert
Überwiegend schlechte Noten für Imprägniersprays: Sieben von neun untersuchten Sprays enthalten grössere Mengen Kleinstpartikel.
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K-Tipp 14/2004
08.09.2004
Rolf Muntwyler - rom@ktipp.ch
Es kommt in der Schweiz nicht gerade häufig vor, dass Hersteller ihre Ware zurückrufen. Dieser Fall trat im März letzten Jahres ein. Die Migros entfernte ihre beiden Imprägniersprays Rapi Aqua Stop und Rapi Intemp aus den Regalen. Ebenso wurde der «K2r Imprägnierer für Textilien und Leder» aus den Läden zurückgezogen.
Der dramatische Hintergrund: Anwender dieser Sprays erlitten schwere Atmungsstörungen. Innert weniger Wochen kam es zu rund 200 Vergiftungsfällen.
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Es kommt in der Schweiz nicht gerade häufig vor, dass Hersteller ihre Ware zurückrufen. Dieser Fall trat im März letzten Jahres ein. Die Migros entfernte ihre beiden Imprägniersprays Rapi Aqua Stop und Rapi Intemp aus den Regalen. Ebenso wurde der «K2r Imprägnierer für Textilien und Leder» aus den Läden zurückgezogen.
Der dramatische Hintergrund: Anwender dieser Sprays erlitten schwere Atmungsstörungen. Innert weniger Wochen kam es zu rund 200 Vergiftungsfällen.
Schuld daran war ein neuer Wirkstoff, der nicht nur Leder und Kleider, sondern gleich auch die Lunge imprägnierte. Der Spraynebel zerstörte Lungenbläschen.
Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) hat das spezielle Fluorcarbonharz verboten, das zu den Vergiftungen führte. Weiter hat das Amt Imprägniersprays mit (anderen) Fluorcarbonharzen in die Giftklasse 5S eingeteilt. Die Hersteller müssen solche Produkte seither mit einem roten Band kennzeichnen und Warnungen anbringen.
Diese Vergiftungen haben aufgezeigt, dass Imprägniersprays bedenklich sind. Denn wo gesprayt wird, droht Atemnot. Heikel ist die Grösse der versprühten Teilchen. Wird die Flüssigkeit so fein zerstäubt, dass die Partikel kleiner als 1/1000 mm sind, können sie vom Filtersystem der Lunge nicht abgefangen werden. Und was in die Lunge gelangt, kann dort Schaden anrichten.
Der K-Tipp wollte wissen, wie es um die gefährlichen Kleinstpartikel steht: Können bei allen Sprays Teilchen in die Lunge gelangen? Neun Sprays von Grossverteilern und Sportgeschäften wurden bei der Ingenieur-Gesellschaft für Verfahrenstechnik Wori auf lungengängige Partikel untersucht. Zudem testete das Umweltinstitut Wiertz-Eggert-Jörissen die Sprays auf zwei gesundheitlich bedenkliche Stoffgruppen: Phthalate und zinnorganische Verbindungen.
«Solche Werte hätte ich nie erwartet!»
Die Unterschiede bei den Teilchengrössen sind frappant.
- Zwei Sprays setzen bei der Anwendung kaum kleinste Teilchen frei. Das Labor mass Werte unter einem Prozent. Es sind dies Toko Textile Proof und Hey Impra Tex. Sie sind aber nur für Textilien geeignet. Der Toko-Imprägnierer ist ein Spray, Impra Tex ein Pumpzerstäuber, der mit Fingerdruck «betrieben» wird.
- Mässige Mengen an Teilchen produzieren Collonil Outdoor und Scotchgard Protection.
- Bei den meisten Sprays liegt der Prozentsatz der Teilchen, die in die Lunge vordringen, bei 8 bis 11 Prozent.
- Deutlich am meisten feine Partikel entstehen beim Kiwi Imprägnierer. Dieser Spray bietet wenigstens den Vorteil, dass er als Treibmittel Luft verwendet statt der üblichen Gasmischungen.
Thomas Richter, der beim Untersuchungslabor Wori die Messungen durchgeführt hat, ist erstaunt: «Mit solchen Unterschieden habe ich nicht gerechnet.»
Lungenspezialisten sind entsetzt. «Werte bis 16 Prozent lungengängige Teilchen hätte ich nie und nimmer erwartet», sagt Karl Klingler, Facharzt für Lungenkrankheiten am Lungenzentrum Hirslanden in Zürich. Seiner Ansicht nach dürften Sprays überhaupt keine Teilchen versprühen, die in die Lunge eindringen können. «Die Lunge ist nicht eingerichtet für solche Partikel», warnt Klingler, ob sie nun von Auto- und Industrieabgasen oder aus Spraydosen stammen.
Problematisch ist dabei der Wirkmechanismus. «Die Lunge funktioniert wie ein Immunorgan», erklärt der Arzt. Wenn andere Stoffe als Luft und Wasserdampf in die Lunge kämen, kann es zu einer Abwehrreaktion mit schweren Entzündungen kommen.
Auch Stoffe wie Phthalate und Dibutylzinn, eine zinnorganische Verbindung, gelangen so in den Körper. Phthalate - als Weichmacher im PVC bekannt - werden mit der abnehmenden Spermienzahl bei Männern in Verbindung gebracht. Sie können auch krebsfördernd wirken. Deshalb werden sie in der EU schrittweise verboten, erst in Farben und Klebstoffen, ab 1. April 2005 auch in Kosmetika. Dibutylzinn ist hochgiftig und schädigt bei Tieren schon in geringen Mengen das Immun- und Hormonsystem.
Verunreinigungen in der Spraydose
Die Phthalate im K2r Imprägnierer, im Collonil Outdoor und im Coop Imprägnierer sowie das Dibutylzinn im Scotchgard Protection dürften zwar nur als Verunreinigungen in die Sprays gelangt sein. 3M als Hersteller von Scotchgard betont denn auch, dass Dibutylzinn «nicht Bestandteil der Originalformulierung» sei.
Dazu kommen entweder Fluorcarbonharze oder Silikonöle, die gemäss Herstellerangaben in allen Sprays als imprägnierende Wirkstoffe enthalten sind. Gelangen sie in die Lunge, können sie Lungenbläschen verkleben.
Jan-Olaf Gebbers, Chefarzt am Pathologischen Institut des Kantonsspitals Luzern, mag schon gar nicht über einzelne Substanzen diskutieren. «Lungengängige Teilchen sind generell ein Riesenproblem», betont er.
Gleiche Wirkung aus der Tube
Seiner Ansicht nach ist es zweitrangig, ob man nun Phthalate und Dibutylzinn in Sprays findet. Von zehntausenden chemischen Substanzen, die weltweit verarbeitet würden, seien nur 400 auf ihre krebsfördernde Wirkung getestet, 150 davon von der WHO als krebserregend bezeichnet worden. «Wer garantiert, dass der ganze Rest unbedenklich ist?» Bevor Stoffe verwendet würden, sollten die Hersteller beweisen, dass sie keinen Schaden anrichten können.
Jan-Olaf Gebbers nimmt Hersteller, aber auch Konsumenten selber in die Pflicht: «Wieso muss es denn ein Schuhspray sein, wenn es Tuben und Dosen auch tun?»
So schonen Sie Ihre Atemorgane
Es gibt Imprägniermittel in Schaumform, die gute Alternativen zu Sprays sind.
Imprägnierschaum und-mousse lassen sich weniger einfach auftragen als ein Spray, dafür schädigen sie die Lunge nicht. Pumpzerstäuber hingegen können die Lunge auch belasten. Für Textilien - auch für atmungsaktive - gibt es zusätzlich so genannte Wash-ins, die man beim Waschen beifügt.
Das Angebot an Imprägnierschäumen und Ähnlichem ist allerdings beschränkt. In der Schweiz erhältlich sind:
- Rapi Aqua Stop Mousse für Leder und Textilien (Fr. 8.50/150 ml)
- Nikwax TX.direct Spray-on für atmungsaktive Stoffe (Fr. 24.90/300 ml)
- Nikwax Nubuck & Suede Proof Schwammimprägnierung für Nubuck- und Wildleder (Fr. 14.90/125 ml)
- Nikwax Aqueous Wax für Schuhe aus Leder und atmungsaktive Textilien (Fr. 14.90/125 ml)
- Collonil Progres Schaum (Fr. 12.50/200 ml) und Collonil Leather Gel (Fr. 16.90/200 ml) beide für Glattleder
- Wash-ins gibt es von diversen Herstellern
Je nach Leder lassen sich Schuhe und Jacken auch mit fettender Creme schützen.
Wenn es denn trotzdem Spray sein muss, sollte man ihn nur im Freien verwenden. Vom Gesicht weg sprühen und Windrichtung beachten! Imprägnierte Schuhe und Kleider im Freien trocknen lassen.
(rom)
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