Schweizer Bauern dürfen ihre Apfelbäume zurzeit mit 88 verschiedenen Pestiziden behandeln. Das schreibt das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit dem K-Tipp. Der K-Tipp wollte wissen: Wie stark sind die Äpfel noch mit Chemie belastet, wenn sie im Laden liegen?
Für eine Stichprobe kaufte die Testredaktion Ende September in sieben Städten bei Aldi, Coop, Lidl und in der Migros Äpfel ein. Ein deutsches Labor überprüfte die Früchte auf Pestizide. Untersucht wurden die ganzen Äpfel – also das Fruchtfleisch samt Schale. Vier Produkte stammten aus Neuseeland, die restlichen aus der Schweiz. Ein Kilo Äpfel kostete zwischen Fr. 1.88 und Fr. 6.30.
Bio-Äpfel waren unbelastet
Resultat: Die acht Schweizer Bio-Äpfel der Sorten Gala, Resi, Opal und Cox’s Orange enthielten keine giftigen Rückstände. Ebenfalls gut schnitten acht Äpfel aus konventionellem Anbau ab. Dazu zählten die bei Lidl gekauften Äpfel Pink Lady aus Neuseeland und die Sorten Jonagold von Aldi, Swee Tango (Coop, Migros St. Gallen) sowie Gala von Coop.
Bei den restlichen 14 Äpfeln – alle aus konventionellem Anbau – fand das Labor elf verschiedene Pestizide in einer Dosis von über 0,01 Milligramm pro Kilo (mg/kg). Neun dieser Stoffe bekämpfen Pilze, zwei davon vernichten Insekten.
Golden Delicious oft mit Giftstoffen
Die grösste Anzahl Pestizide entdeckte das Labor bei Golden-Delicious-Äpfeln aus einer Aldi-Filiale in Genf: Diese enthielten insgesamt sechs verschiedene Chemikalien. Auch unter den restlichen belasteten Äpfeln fanden sich auffällig oft die beliebten Golden Delicious. Die grösste Menge an Pestiziden wiesen die Äpfel Starking aus einer Coop-Filiale in Zürich auf. Sie trugen das Label von IP Suisse.
Schweizer Apfelbauern fahren im Kampf gegen Pilze und Insekten schweres Geschütz auf. Neun Äpfel enthielten Rückstände von sogenannten «hochgefährlichen Pestiziden», welche die Organisation Pesticide Action Network PAN in einer Liste aufführt.
Laut den Vereinten Nationen können diese Wirkstoffe «unverhältnismässige Schäden für die Gesundheit und die Umwelt» verursachen. Die Weltgesundheitsorganisation bewertet die Chemikalien beispielsweise als krebserregend, schädlich für die Fortpflanzungsfähigkeit, erbgutverändernd, ozonschädlich oder gefährlich für Bienen. Laut der Organisation Public Eye bedrohen diese Stoffe «weltweit die Gesundheit von Millionen von Menschen».
Das Labor fand insgesamt vier riskante Pestizide – Captan, Pirimicarb, Folpet und Dodin – mit Rückständen über 0,01 mg/kg sowie sieben weitere solche Stoffe im Spurenbereich. Laut der Europäischen Chemikalienagentur verursachen Captan, Pirimicarb und Folpet bei Menschen vermutlich Krebs. In Studien mit Captan wuchsen bei Mäusen Tumore im Zwölffingerdarm.
In einer «Gesundheitstipp»-Stichprobe war Captan oder Pirimicarb bei 8 von 30 Männern, Frauen und Kindern im Urin nachweisbar («Gesundheitstipp» 5/2020). Zudem töten Captan, Pirimicarb, Folpet und Dodin Wasserlebewesen ab.
Bund rechtfertigt Pestizideinsatz
Apfelbauern riskieren mit dem Einsatz dieser Gifte Umwelt und Gesundheitsschäden. Ihre Früchte gedeihen in der Schweiz auf 3700 Hektar Land – das entspricht einer Fläche von fast 5200 Fussballfeldern. Das Bundesamt für Landwirtschaft nimmt die Bauern in Schutz. Apfelbäume würden von vielen Krankheiten befallen. Das erfordere «zahlreiche Schutzbehandlungen». Ein Apfel mit einem leichten Fehler aufgrund eines Schädlings könne nicht in der ersten Klasse vermarktet werden. Für die Bauern bedeute dies «hohe Verluste».
Keines der 30 Apfelprodukte überschritt die gesetzlichen Grenzwerte für die einzelnen Pestizide in Lebensmitteln. Gleichwohl bewertete der K-Tipp aus Gründen der Gesundheitsvorsorge bereits Äpfel mit Pestizidrückständen ab 0,01 mg/kg als problematisch. Denn es ist kaum erforscht, wie sich Cocktails aus mehreren Pestiziden im Körper auswirken.
Zum Ergebnis der Stichprobe schreibt die Migros dem K-Tipp, ihre Früchte würden allesamt den eigenen «hohen Qualitätsansprüchen» entsprechen. Auch Coop sieht die «internen Pestizidrichtlinien» erfüllt.
Tipp: Bio-Äpfel sollte man vor dem Essen nicht schälen. Denn Vitamine und weitere gesunde Stoffe stecken zum grossen Teil in und direkt unter der Schale.
Giftstoffe in IP-Suisse-Äpfeln
Auch Äpfel von IP Suisse enthalten heikle Pestizide. Die in der Stichprobe am stärksten belasteten Äpfel stammten vom Verein mit dem Marienkäfer-Label.
Das Testlabor fand in den Äpfeln Starking IP Suisse Captan, Acetamipirid und Dithianon. Die Stoffe sind laut der Europäischen Chemikalienagentur sehr giftig für Wasserlebewesen. Captan verursacht vermutlich Krebs, Acetamiprid schädigt ungeborene Kinder.
Auch die Äpfel Cox’s Orange von IP Suisse enthielten Pestizide. Sie schaden über die Muttermilch gestillten Kindern und sind vermutlich krebserregend. Insgesamt fanden sich in den drei Äpfeln 13 verschiedene Chemikalien.
Laut IP Suisse werden Produkte mit dem Marienkäfer-Label «besonders umweltfreundlich, nachhaltig und weitgehend ohne Pestizide hergestellt».
IP Suisse zeigt sich mit dem Resultat der Stichprobe «zufrieden». Gesetzliche Grenzwerte seien nicht überschritten worden.
Die drei Äpfel stammen aus Coop-Filialen. Der Grossverteiler verkauft neu fast nur noch IP-Suisse-Äpfel. Trotz der Ergebnisse bewirbt Coop den Verband weiterhin. IP Suisse fördere «die Anstrengungen für den reduzierten Pflanzenschutzmitteleinsatz». Coop räumt ein, dass Kunden für Äpfel «tendenziell» höhere Preise zahlen als vor der Umstellung. Grund dafür seien die «höheren Entschädigungen für IP-Produzenten».