Schädliche Luftverpester
Hohes Allergierisiko, umstrittene Moschusverbindungen und Partikel, die man einatmet: Mediziner raten von Raumsprays ab.
Inhalt
K-Tipp 2/2005
26.01.2005
Rolf Muntwyler - rom@ktipp.ch
Manchmal bleibt ihr nur die Flucht. Marie-Therese Stettler aus Nürensdorf ZH bleibt glatt die Luft weg, wenn sie beduftete Räume betritt: Ihre Augen brennen, sie bekommt Hustenanfälle, wird heiser. In extremen Fällen sind auch Schwindel und starkes Unwohlsein die Folge. Ursache sind Raumsprays, die auf Toiletten, in Taxis, Hotels und Flugzeugen unangenehme Gerüche übertünchen sollen.
Nicht viel besser geht es Christian Schifferle aus Lenzerheide GR. Bei ihm führen Duftspra...
Manchmal bleibt ihr nur die Flucht. Marie-Therese Stettler aus Nürensdorf ZH bleibt glatt die Luft weg, wenn sie beduftete Räume betritt: Ihre Augen brennen, sie bekommt Hustenanfälle, wird heiser. In extremen Fällen sind auch Schwindel und starkes Unwohlsein die Folge. Ursache sind Raumsprays, die auf Toiletten, in Taxis, Hotels und Flugzeugen unangenehme Gerüche übertünchen sollen.
Nicht viel besser geht es Christian Schifferle aus Lenzerheide GR. Bei ihm führen Duftsprays zu Atemproblemen und Lungenstechen. Stettler und Schifferle haben etwas gemeinsam: Sie leiden beide an Chemikalienunverträglichkeit (MCS, Multiple Chemical Sensitivity) und reagieren besonders empfindlich auf Duftstoffe und andere Chemikalien.
Auch unempfindliche Leute rümpfen die Nase, wenn sie künstliche Düfte riechen. «Statt besser zu putzen, werden Zitronen- oder Blumendüfte versprüht», ärgert sich etwa Monique Kirchrath aus Oetwil am See ZH. Tatsächlich nehmen viele Schweizer die Sprühdose zu Hilfe, wenn es schlecht riecht.
32-mal mehr Partikel als der Testsieger
Das ist nicht nur für MCS-Betroffene ungesund: Die Inhaltsstoffe der Sprays können wegen der geringen Tröpfchengrössen in die Lunge gelangen. Als Duftstoffe setzen die Hersteller Substanzen ein, die ein hohes Allergierisiko bergen.
Der K-Tipp wollte wissen, welche Raumluftsprays unbedenklich sind, und schickte zehn Sprays ins Labor. Die Duftsprays wurden auf ihren Anteil an lungengängigen Partikeln, auf Moschusverbindungen und Stoffe mit hohem Allergierisiko untersucht.
Der Anteil an lungengängigen Partikeln variiert von Produkt zu Produkt stark. Das Prüfinstitut mass beim teuren Zerstäuber von Crabtree & Evelyn nur 0,2 Prozent an lungengängigen Tröpfchen. Beim M-Fresh-Raumduft-Citrus-Spray der Migros hingegen können 32-mal so viele Partikel in die Lunge gelangen.
Die Folgen: Ekzeme, Husten, Atemnot
«Teilchen unter 10 Mikrometer sind grundsätzlich gefährlich, weil diese Kleinstpartikel für die Lunge nicht vorgesehen sind», sagt Karl Klingler, Arzt für Lungenkrankheiten, und ergänzt: «Der Zusammenhang zwischen Kleinstpartikeln und Asthma ist erwiesen.» Auch Jan-Olaf Gebbers, Chefarzt am Kantonsspital Luzern, bezeichnet Sprays als «Riesenproblem»: «Es ist für den Organismus belastend, dass man an jeder Ecke eine Dosis Feinstaub einatmet, sei es Zigarettenrauch, Abgase oder eben Partikel von Sprays.»
Zudem enthalten Raumsprays Duftstoffe, die Allergien auslösen. «Duftstoffe stellen ein zunehmendes Problem dar», wie Brunello Wüthrich, Dermatologe und Allergologe, darlegt. «Auf der Haut können sie zu allergischen Reaktionen führen, zum Beispiel zu Ekzemen.» Werden Duftstoffe versprüht, bilde sich in seltenen Fällen bei hochgradig sensibilisierten Allergikern ein Ekzem im Gesicht. «Bekannt ist auch, dass ein Teil der Asthmatiker mit Husten und Atemnot reagiert.»
Das wissenschaftliche Beratergremium der EU für Kosmetische Produkte (SCCNFP) hat jene 26 besonders allergenen Stoffe aufgelistet, die in Zukunft auf kosmetischen Produkten separat deklariert werden müssen. Die EU-Richtlinie wird auch in der Schweiz umgesetzt. So können Allergiker für sie riskante Kosmetika wenigstens meiden. Streicht man einen Mix mit diesen 26 definierten Duftstoffen auf die Haut, reagieren laut Wüthrich ungefähr 10 Prozent der Bevölkerung mit Ekzemen. Entgegen einer verbreiteten Meinung können nicht nur künstliche, sondern auch natürliche Duftstoffe Allergien auslösen.
Sprays schützen nicht vor Passivrauchen
Raumsprays sind zwar rechtlich keine kosmetischen Produkte, die Deklaration wäre hier aber auch angezeigt. Die K-Tipp-Untersuchung zeigt, dass die «Lufterfrischer» 8 bis 15 der allergenen 26 Düfte enthalten: Für Allergiker und Asthmatiker Grund, einen «bedufteten» Raum schleunigst zu verlassen.
Auch Moschusverbindungen werden nicht nur in Salben, sondern ebenso in Duftsprays verwendet. Sie reichern sich in der Umwelt und im menschlichen Körper an, sind zum Teil schwer abbaubar und deshalb unerwünscht. «Es besteht immer noch der Verdacht, dass Moschus-Xylol krebsauslösend sein könnte», sagt Volker Mersch-Sundermann, Professor für Umwelttoxikologie an der Universitätsklinik Giessen (D). Moschus-Xylol wie auch Moschus-Keton werden kaum mehr eingesetzt. Umso überraschender, dass der Rosen-Spray von Cosmetic 1001 von beiden Verbindungen geringe Mengen enthielt.
Weshalb immer mehr Menschen empfindlich auf Stoffe reagieren, weiss man bisher nicht. «Die Luft in Innenräumen wird für viele Menschen zum Problem», so Mersch-Sundermann. Deshalb sei es eine «wichtige Präventivmassnahme», die Luft im Haus nicht unnötig mit Chemikalien zu verunreinigen. «Die Belastung durch behandelte Baumaterialien ist schon so gross genug.»
Völlig fehl am Platz sind Sprays, um Zigarettenqualm zu vertreiben. Laut einer englischen Studie glauben viele rauchende Eltern, dass sie ihre Kinder so vor Passivrauchen schützen können. Jürg Hurter von der Stiftung Pro Aere bestätigt diesen Befund für die Schweiz. Es ärgert ihn, dass Raucher gleich zweimal über den Tisch gezogen werden: «Die Leute, die schon von den Tabakkonzernen ausgenommen werden, lassen sich beim Kauf der Duftsprays gleich nochmals Geld aus der Tasche ziehen.»
Infos zu Chemikalien-Unverträglichkeit: MCS-Liga, Tel. 081 356 37 39, www.msc-liga.ch
Wenn schon sprayen, dann mit einem Zerstäuber
Idealerweise verzichtet man auf Raumsprays. Am besten schnitt im Test der teure Duft von Crabtree & Evelyn ab. Er enthält keine Moschusverbindungen, kaum Allergene und lungengängige Partikel. Letzteres ist ein Vorteil von Zerstäubern, die die Flüssigkeit ohne Treibgase versprühen. Auch die beiden anderen Zerstäuber im Test, M-Fresh Neutro und Super Fresh von Eduard Vogt, haben tiefe Werte.
Überraschend: Der Raumspray von Eduard Vogt enthält Moschusverbindungen. Die Firma, die in der Regel «sanfte» Produkte herstellt, schreibt, sie sei sich dessen nicht bewusst gewesen: «Diese Inhaltsstoffe widersprechen unserer Philosophie.» Die Rezeptur werde sowieso überarbeitet.
Drei Sprays sind wegen ihres hohen Anteils an lungengängigen Partikeln «nicht empfehlenswert». Cosmetic 1001, dessen Spray Moschus-Keton und -Xylol enthält, will nun abklären, ob der Spray auch ohne diese Stoffe hergestellt werden kann.
(rom)
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