Es tue ihr «extrem weh», sagt Tabea Maretto (Name geändert). Sie liegt bereits zum sechsten Mal auf dem Behandlungstisch der Hautarztpraxis von Bettina Rümmelein in Kilchberg ZH. Maretto lässt sich das Tattoo am Rücken weglasern. Nach einer halben Stunde beendet die Ärztin den Eingriff. Bis die ganze Farbe vollständig weg ist, brauche es aber noch weitere Behandlungen.
Blasen auf der Haut und heftiger Juckreiz
Auf der Tätowierung der 37-Jährigen hatten sich Blasen gebildet, die einen Juckreiz auslösten. Das Tattoo liess sie sich vor 18 Jahren stechen. Bis vor vier Jahren hatte sie keine Probleme. Doch dann begann sich die Haut über dem Tattoo plötzlich aufzublasen. Gemäss Hautärztin Bettina Rümmelein handelt es sich dabei um eine Abwehrreaktion des Körpers.
Es ist noch weitgehend unerforscht, welche gesundheitlichen Auswirkungen Tattoo-Farben haben. Sicher ist: Die Tinte bleibt nicht an dem Ort, an dem sie gespritzt wurde. Der Körper transportiert einen Grossteil der Farbe über die Lymphbahnen zu den Lymphknoten. Diese können sich dadurch verfärben.
Strengere Gesetze in der EU
Die EU-Behörden verboten Anfang 2022 Tausende von gefährlichen Inhaltsstoffen, die in Tattoo-Farben enthalten sind (K-Tipp 1/2022). Das Schweizer Gesetz ist viel weniger streng: Es erlaubt Farben, die in der EU verboten sind. Dennoch findet Susanne Losio, stellvertretende Kantonschemikerin in Luzern, immer wieder verbotene Farben, die Allergien oder gar Krebs auslösen können.
Susanne Losio kontrolliert 20 bis 30 Tattoo-Studios pro Jahr und stellt regelmässig Mängel bei der Qualitätssicherung fest – etwa fehlende Sterilisationsprotokolle. Auch findet sie Jahr für Jahr Tätowierstuben, die amtlich nicht gemeldet sind.
Jeder kann sich Tätowierer nennen, denn es handelt sich nicht um einen staatlich anerkannten Beruf. Auch eine Ausbildung braucht es für die Berufsausübung nicht. Das Problem: Arbeiten Tätowierer nicht fachgerecht, setzen sie ihre Kunden gesundheitlichen Risiken aus.
Hautärztin Rümmelein ist auf die Behandlung von Tattoo-Komplikationen spezialisiert. Am häufigsten stellt sie Entzündungen und Hautverletzungen fest. Diese können auch Fieberbläschen, Schuppenflechte oder Allergien auslösen. Sind die Nadeln oder die Arbeitsumgebung von Tätowierern nicht steril, drohen gar HIV oder Hepatitis.
Erhebliche Risiken für Diabetiker
Der K-Tipp machte eine Stichprobe in zehn Tattoo-Studios in der Deutschschweiz. Die Testperson gab sich als Kundin aus und wollte wissen: Beraten die Studios mit der nötigen Sorgfalt? Wie ernst nehmen sie es mit der Hygiene? Und können sie mit einem Sterilisationsprotokoll belegen, dass sie hygienisch einwandfrei arbeiten und dass wiederverwendete Arbeitsinstrumente nach jeder Behandlung desinfiziert, gereinigt und sterilisiert wurden? Das fordert der Verband Schweizerischer Berufstätowierer.
Die Testperson gab sich als Diabetikerin aus. Das Tätowieren von Diabetikern ist besonders riskant. Gemäss dem Expertenbeirat der Patientenorganisation Diabetes Schweiz kann der Blutzucker bei Schmerzen und Stress rasch ansteigen. Im schlimmsten Fall können Betroffene bewusstlos werden.
«Wichtig ist, dass der Blutzuckerwert vor der Tätowierung gut eingestellt ist», schreibt Diabetes Schweiz auf Anfrage des K-Tipp.Wichtig sei auch, dass dieser Wert während der Tätowierung mit einem Sensor überwacht werde.
Zudem sollten die Tätowierer Kunden mit Diabetes vor der Behandlung zu einer ärztlichen Abklärung schicken. Das verlangen auch die Richtlinien «Gute Arbeitspraxis» des Verbands der Berufstätowierer.
Die Stichprobe des K-Tipp zeigt:
Neun von zehn Studios hätten die Diabetikerin ohne vorherige ärztliche Abklärung tätowiert. Darunter war sogar das Studio des Präsidenten des Berufsverbands, das Old Capital Tattoo & Piercing Parlor in der Stadt Bern. Das Studio Molnar World in Balsthal SO umwarb Diabetiker in einer Instagram-Aktion sogar mit Rabatten: «Diabetiker? Wir tätowieren Ihren Diabetes-Typ kostenlos!»
Kein Studio legte auf Nachfrage einen Auszug aus dem Sterilisationsprotokoll vor, obwohl Tätowierer gemäss den Verbandsrichtlinien ein solches führen müssten.
Nur in der Hälfte der Stu- dios konnte die Testperson ihren Tätowierer kennenlernen, obwohl sie danach gefragt hatte. Dabei wäre der persönliche Kontakt mit dem Tätowierer sehr wichtig, da ein Vertrauensverhältnis aufgebaut werden muss.
Zwei von zehn Studios hätten die Testperson sofort nach der Beratung tätowiert, obwohl diese sich sehr unsicher und unentschlossen gab. Tattoos trägt man ein Leben lang. Deshalb sollte der Entscheid gut überlegt sein.
Im Studio Sofie’s World in Erlinsbach SO, das nach eigenen Angaben auch Lernwillige ausbildet, traf die Testperson nicht nur auf die Tätowiererin, sondern auch auf einen frei herumlaufenden Hund. Das ist hygienisch fragwürdig.
In vier Studios konnte sich die Testperson nur schlecht auf Deutsch verständigen oder musste sich in einer Fremdsprache unterhalten.
Nur ein Studio nahm Diabetes ernst
Mit den Resultaten der Stichprobe konfrontiert, reagierten sieben der zehn Tattoo-Studios nicht. Der Präsident des Berufsverbands und Inhaber des Old Capital Tattoo & Piercing Parlor behauptet, die Testperson des K-Tipp zum Arzt geschickt zu haben.
Das World’s End Tattoo schreibt, man befolge die Richtlinien des Berufsverbands nach «bestem Wissen und Gewissen». Sofie’s World bestreitet, dass sich ein Hund im Studio aufgehalten habe.
Positiv fiel das Tattoo-Studio 476 Ink in Siebnen SZ auf. Die Testperson wurde umfassend aufgeklärt und auch auf mögliche Komplikationen hingewiesen. Das Tattoo-Studio legte zudem offen, mit welchen Farben gearbeitet wird – genauso wie das New York Ink in Zürich. Letzteres war das einzige Studio, das die Testperson mit Diabetes zuerst zum Arzt schicken und erst danach tätowieren wollte.
Darauf sollte man bei der Wahl des tattoo-Studios achten
- Hygiene: Wirkt das Studio sauber? Arbeitet der Tätowierer mit Handschuhen? Wird ein Sterilisationsprotokoll geführt? Werden die Nadeln aus einer sterilen Packung genommen?
- Beratung und Aufklärung: Werden Fragen zu Motiv und Vorerkrankungen gestellt? Gibt es Informationen zu Komplikationen, Risiken und Pflege des Tattoos? Ein Gesundheitsfragebogen allein genügt nicht.
- Farben: Absolute Transparenz über die verwendeten Farben ist elementar.
- Auf Festivals oder partys sollte man sich keine Tattoos stechen lassen.
- Preis-Leistungs-Verhältnis: Es sollte ein verbindlicher Preis oder zumindest ein Kostendach vereinbart werden.